S. Droste: Offensive Engines. Projektemacher und Militärtechnik im langen 18. Jahrhundert

Cover
Titel
Offensive Engines. Projektemacher und Militärtechnik im langen 18. Jahrhundert


Autor(en)
Droste, Stefan
Reihe
Wissenschaftskulturen. Reihe I: Wissenschaftsgeschichte
Erschienen
Stuttgart 2022: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
452 S.
Preis
€ 72,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabrina Fröhlich, Geistes- und Sozialwissenschaften, Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr, Hamburg

Für Krieg braucht man Kriegsgerät und für Kriegsgerät braucht man Menschen, die es herstellen. Stefans Drostes Werk „Offensive Engines“ fußt auf dieser Überlegung, die nicht nur für die Erforschung des frühneuzeitlichen Kriegswesens alles andere als eine banale Binsenweisheit darstellt. Denn in seiner auf der 2020 an der Universität Göttingen eingereichten Dissertationsschrift basierenden Publikation hebt er jene Menschen hervor, die Kriegsgeräte und militärtechnische Erfindungen im langen 18. Jahrhundert (S. 10, Einleitung) planten und herstellten. Das ‚lange 18. Jahrhundert‘ definiert Droste als die Zeitspanne zwischen 1650 und ca. 1800. Er grenzt sich damit von der, wie er schreibt, gängigen Definition ab, die von 1680 bis 1830 reicht. Seine Definition begründet sich aus seinen Quellen zu „weitgehend unbekannten Fällen“ (S. 35, Bühne: Das Zeitalter der Projekte) der Projektemacher.

Einige Projekte waren erfolgreich, viele scheiterten. Er tituliert die Protagonisten als „Projektemacher“, eine schon zeitgenössisch vielgenutzte Bezeichnung für einen historischen Akteur, der Kriegsgerät mal mehr, mal weniger erfolgreich plante und herstellte. Manchmal waren diese Kriegsgeräte Hirngespinste, manchmal wahre Innovationen, aber die Zeitgenossen begegneten ihnen stets mit einer gewissen Skepsis. Projektemacher nennt Droste das „vielleicht größtes Faszinosum des ‚Zeitalters der Projekte‘“ (S. 11, Einleitung). Das „Zeitalter der Projekte“ ist eine Übersetzung des von Daniel Defoe verwendeten Terminus „projecting age“ (S. 10, Ein erfundener Krieg). Schon Leopold von Ranke beschrieb die Projektemacher als Geheimniskrämer, Abenteurer und doch Verlorene (vgl. ebd.). Projektemacher umwitterte stets – auch abseits von Ranke – etwas Schleierhaftes, etwas kaum zu Fassendes. Drostes Studie entschlüsselt mehrere Desiderate der Forschung. Er konzentriert sich auf zwei Ausrichtungen: Personalisierung und De-personalisierung der Projekte durch die Projektemacher. Dies geschieht mit Hilfe eines kulturgeschichtlichen Zugangs. Dabei spielen Wissen, Expertentum, Handlungsmuster, Vertrauen, Legitimation und soziales Umfeld entscheidende Rollen. Droste fokussiert sich auf hybride Wissenskulturen, die schließlich die Legitimierung der Projekte voranbrachten oder eben nicht. Mit dieser Vorgehensweise bewegte er sich im Spannungsfeld zwischen Wissens-, Technik-, und Militärgeschichte, wobei Wissensgeschichte als Wegweiser fundierte. Die Abgrenzung zur bisherigen Forschung sticht dabei schnell heraus: Diese betrachtete (von Ausnahmen einmal abgesehen) Projektemacher entweder als gescheitert oder erfolgreich. Gerne wurden die Projektemacher auch in die Komplexität der Konzepte der ‚Scientific -‘ oder ‚Military Revolution‘ eingefügt. Droste nimmt das „oder“ zwischen „Scheitern oder Erfolge“ weg und gibt den Projektemachern Raum zur Entwicklung ihres Wissens und ihrer Expertise.

Droste legt seiner Arbeit die Ergebnisse aus elf Archiven zugrunde. Quellenarbeit aus elf Archiven darf nicht unterschätzt werden, daher ist hier noch ein eigenständiges Lob anzubringen. Fünf Projektemacher und deren Projekte bilden den roten Faden der Studie: William Petty (1623–1687), John Perry (1670–1732), Johann Nicolaus Heiliger, Christian Friedrich von Bonhorst (Lebensdaten jeweils unbekannt) und Johann Gerum (gestorben 1777). Droste konzentriert sich, nach eigener Aussage, auf „weitgehend unbekannte Fälle“, auf „close-reading der schriftlichen Überreste aus der aktiven Praxis“ (S. 35, Das Zeitalter der Projekte).

Es darf beispielsweise das sogenannte Katamaran-Projekt von William Petty genannt werden. Petty, Gründungsmitglied der Royal Society (1660), verfolgte das Ziel, die Royal Navy um ein „double bottom“–Schiffsbauprojekt, eine Art Katamaran, aus eigener Hand zu erweitern. Es bestand aus zwei parallelen Rümpfen, entgegen der zeitgenössischen Bauweise mit nur einem Rumpf (S. 48, Das Erproben des William Petty). Anstelle des von ihm erhofften Erfolges äußerten sich Zeitgenossen spöttisch bis abfällig. Es wurden sogar Wetten abgeschlossen, wann – nicht ob – das Schiff unterginge. Noch 1954 erklärte Emil Strauss es zu einer „missglückten Folge einer Freizeitlaune“ (S. 49, Das Erproben des William Petty).

Ein Vorzug der Arbeit ist, dass es dem Autor gelingt, die Menschen hinter den Projekten sichtbar zu machen, wodurch deutlich wird, warum diese ihre Projekte so durchführten, wie sie es taten. Die Beweggründe, Hindernisse, Zusammenarbeiten Handlungsspielräume und die Folgen für die Akteure werden sichtbar. Der erste Hauptabschnitt seiner Arbeit zeigt die Person des Projektemachers, die anderen drei Hauptteile de-individualisieren sie. Damit verschiebt er den Fokus auf das Kriegsgerät als Objekt (S. 202, Facetten einer Erfindung) und fragt, ob man ein Objekt von seinem Projektemacher überhaupt trennen kann? Die betrachteten Projektemacher strebten nach Anerkennung ihres Projektes, ihres Wissens und ihrer Kompetenz, das Projekt geplant und/oder gebaut zu haben. Dabei agierte der Projektemacher oftmals, aber nicht immer, aus einer gesicherten Position heraus. Es dürfen zwei Thesen und deren Einordnung in die Forschungslage herausgegriffen werden, um diese Aussagen zu untermauern:

Der Projektemacher stand zwischen den Stühlen. Er war mehr oder weniger gefangen zwischen (meistens adligen) Gönnern und war gezwungen, deren Wünsche/Forderungen zu berücksichtigen. Gleichzeitig verteidigte er seine Deutungshoheit über sein Projekt und fungierte als Entscheidungsträger zu anderen „niedrig gestellten“ Personen, wie Handwerkern und anderen „subalternen“ Helfern (S. 370, Eine prekäre Identität). Er besaß Autorität über andere, musste sich diese Autorität aber erst mit dem Erfolg seines Projektes erkämpfen. Droste apostrophiert dies als einen Aufstieg durch Unterordnung. Die eigentlichen Akteure der Projekte, die Handwerker, spielen in Drostes Arbeit hingegen keine große Rolle – sie treten in dem Zusammenhang allenfalls als Empfänger der Entscheidungen der Projektemacher in Erscheinung, obwohl die Projektemacher schlussendlich von der Expertise derjenigen abhängig waren, die ihre Projekte umsetzten. Das soll nicht als Makel begriffen werden – im Gegenteil darf die ‚Gefangenschaft‘ des Projektemachers zwischen Gönnern und „niedrig gestellten Personen“ gar als eine der zentralen Thesen des Buches gelten. Immerhin sind die Überlieferungen zu Handwerkern ein bestehendes Manko in der Geschichtswissenschaft und verdienen eine darauf angepasste Fragestellung.

Droste bindet seine Studie konzeptionell hervorragend in den von Ursula Klein vertretenen Standpunkt des „nützlichen Wissens“ und des „hybriden Experten“ ein.1 Man könnte dies auch als eine Fortsetzung der Debatte um die Interaktionen zwischen „practical and scholarly knowledge“ interpretieren, die immer wieder eine historiografische Renaissance erlebt, aber deren Geschichte bei weitem noch nicht auserzählt ist. Der „hybride Experte“ nach Klein hatte eine „soziale Schlüsselfunktion, die gleichermaßen weichenstellend war für die beginnende Industrialisierung, die Institutionalisierung der nützlichen Wissenschaften und die Ausdifferenzierung der exakten, analysierenden Naturwissenschaften“.2 Droste nimmt dieses Konzept auf, indem er soziale Interaktionen der Projektemacher im militärischen Umfeld in das Blickfeld nimmt. Gleichzeitig waren die Interaktionen aber sozial prekär. Im Gegensatz zu Kleins Experten waren die Projektemacher unsteter, verfügten zwar über eine sesshafte Existenz, aber oftmals nicht in den Bereichen, in denen sie sich als Projektemacher verdient machen (wollten). Das führte einerseits zu Flexibilität, aber auch zur Furcht, soziale Regeln erlernen und befolgen zu müssen, die sie vorher nicht kannten. Sie traten mit ihren Projekten in eine militärisch geprägte Welt ein, die ihre eigenen Gesetze und Vorschriften hatte. Damit war Anpassungsfähigkeit gefragt, aber auch die dauernde Lernbereitschaft, Projekte so zu „verkaufen“, dass sie anschlussfähig waren und auch blieben. Droste geht sogar davon aus, dass einige Projektemacher in Vorwegnahme des eventuellen Scheiterns der eigenen Projekte ihre Person „hinter einem überindividuellen Narrativ der Technologieentwicklung zurückstellten“ und damit dem „sonst gern formuliertem Selbstbild konkurrenzloser Technikmeisterschaft“ entsagten (S. 355, Eine prekäre Identität). Diese Argumentation ist insofern schlüssig, als dass sich die Rolle der Projektemacher in Richtung der denkenden Köpfe des Projektes bewegten und sich vom eigentlichen Projektemachen zurückstellten. Es fehlt jedoch an dieser Stelle ein deutlicherer Hinweis darauf, dass sich die Verantwortlichkeiten für das eventuelle Scheitern des Projektes verschieben. Droste nennt es „die Herstellung [des Projektes] subalternen Praktikern überlassen [wird] (S. 355, Eine prekäre Identität). Damit ist impliziert, aber nicht ausführlich dargelegt, dass die Verantwortlichkeit Handwerkern überlassen wird. Ihnen wurde das Scheitern des Projektes angelastet. Dieser Punkt und dessen Folgen für die erwähnten „subalternen Praktiker“ hätte deutlicher gemacht werden können.

Die zweite große These, die diese Rezension herausgreift, ist die Debatte um eben jene Experten. Experten, oftmals mit Expertenkultur(en) verknüpft, finden seit Anfang der 2000er Jahre reges Interesse in der Geschichtswissenschaft. Zentral war dabei, Begrifflichkeiten in verschiedenen sozialen Gruppen zu identifizieren, Experten über sich und andere reden zu lassen, deren Inszenierung, Praktiken und (über)regionaler Transfer, um nur einige ausgewählte Beispiele hervorzuheben.3

Projektemacher hatten keine vordefinierten Expertenrollen, sondern wurden – und das ist der entscheidende Punkt – von Dritten zu solchen gemacht (oder eben nicht, was die zeitgenössisch „fantastische Ungezügeltheit“ (S.136, Praktiken des Projektemachers) des Projektemachers hervorheben soll). Das Ziel des Projektemachers ist dessen Legitimation (S. 375, Eine prekäre Identität): Er wollte von anderen gebraucht werden und dies im besten Falle auch institutionell verstetigt bekommen. Gebraucht als Vorreiter einer (am besten: neuen) technischen Innovation, gebraucht als Ansprechpartner für andere und zur Mehrung des Ruhmes seiner Gönner, gebraucht als Individuum, das (postmodern gesprochen) designt, eigenständig baut, vorstellt und im Endeffekt implementiert. Schlussendlich sollte sich das Projekt mit dem Namen des Projektemachers verknüpfen. Im Idealfall trennte es sich insofern von dem singulären Projektemacher, weil es nun kein Solo-Projekt mehr war, sondern ganz und gar selbstverständlich in Gebrauch. Droste verkürzte diese Aussage auf einen Satz: „die Projektemacher waren keine Ausgestoßenen dieser militärischen Wissenskultur [erg. mehr] – sie hatten ihr Ziel erreicht und waren in der Kriegsmaschinerie verschwunden, die sie einst erträumt hatten“ (S. 385, Die Praxis prekären Projektemachens).

Drostes Verdienst ist es, die genannte „Lebensdauer“ des Projektemachers, zunächst abhängig, dann unabhängig von seinem Projekt, nachzuzeichnen. Er de-personalisiert die Projektemacher und ‚reduziert‘ sie auf die gezeigte ‚Lebensdauer‘, auf das von Anderen und sich selbst Gebraucht-werden. Anzumerken ist, dass sich die Studie dabei manchmal in zu vielen verschiedenartigen theoretischen Ansätzen verliert, was der konzeptionellen Konsistenz nicht immer dienlich ist. Die Projektemacher standen für eine für das frühneuzeitliche Kriegswesen unverzichtbare progressive und aktive Wissenspraxis. Dies ist besonders an den von Droste ausgewählten Akteuren erkennbar, die in ihrem Wirken in der Retrospektive ungeachtet ihres Erfolgs oder Misserfolgs durchaus als Experten kategorisiert werden können.

Es bleibt die Frage bestehen, ob die vorgestellten Projektemacher und ihre Projekte voneinander zu trennen sind. Droste beantwortet dies auf zweierlei Weise: Zum einen sieht er den Wunsch der Projektemacher, von Dritten als Experten anerkannt zu werden, und die Zuschreibung jener Namen zu ihrem Projekt. Dies konnte sich schlussendlich von der singulären Person des Projektemachers trennen, wenn es institutionalisiert wurde. Andererseits argumentiert er trefflich, dass sich Projektemacher mit der Kultur ihrer Zeit verzahnten (S. 137, Fünf Projektemacher: Bestandsaufnahme). Er bietet keine direkte, eindeutige Antwort, sondern formuliert Eigenschaften, die er seinen Projektemachern in seinem definierten „Zeitalter der Projekte“ zuordnet. Die Schlagworte der „Bodenständigen Träumerei“, „‘Hybridität‘ als Identität“, „Taktiken des Unterlegenen“, „Aufstieg durch Unterordnung“ und des „Soziale[n] Technologieverständni[sses]“ (ab S. 381, Die Praxis prekären Projektemachens) drücken diese Eigenschaften in den Dimensionen Raum, Zeit, Gelegenheit und Zeitgeist aus. Sie bieten damit Gelegenheit – auch wegen ihres kurzen Abrisses als Fazit des Werkes – an einzelne Thesen Drostes anzuknüpfen und so die Kulturgeschichte der militärischen Sphäre weiter zu denken als bisher.

Anmerkungen:
1 Ursula Klein, Humboldts Preußen. Wissenschaft und Technik im Aufbruch, Darmstadt 2015, S. 9f.
2 Ebd.
3 Eine kurze Auswahl: Marianne Sommer / Staffan Müller-Wille / Carsten Reinhardt (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart 2017; Frank Rexroth / Teresa Schröder-Stapper (Hrsg.), Experten, Wissen, Symbole. Performanz und Medialität vormoderner Wissenskulturen, in: Andreas Fahrmeir / Hartmut Lippin (Hrsg.), Historische Zeitschrift, Beiheft (Neue Folge), Beiheft 71, Berlin 2018; Udo Friedrich / Eva Schumann (Hrsg.), Transfer von Expertenwissen in der Frühen Neuzeit. Gelehrte Diskurse in der volkssprachigen Praxis, Göttingen 2018; Karl H. Hörning, Experten des Alltags. Die Wiederentdeckung des praktischen Wissens, Weilerswist 2001; Björn Reich / Frank Rexroth /Matthias Roick (Hrsg.), Wissen, maßgeschneidert. Experten und Expertenkulturen m Europa der Vormoderne, München 2012.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch